III.8. Marode Kommunen in NRW endlich finanziell entlasten!

Die kommunale Selbstverwaltung ist ein wichtiger Verfassungsgrundsatz. Kindertagesstätten, Kranken-häuser, Schulen, Stadtbibliotheken, Theater, Freiräume und Grünflächen, der öffentliche Nahverkehr und der Unterhalt von Straßen – das alles und noch viel mehr wird über die Selbstverwaltung der Kom-munen gestaltet.

Tatsächlich sind sie dazu immer weniger in der Lage, denn gerade in NRW sind die Städte und Gemeinden unterfinanziert. Die Kommunen in NRW schieben seit Jahren einen enormen Schuldenberg vor sich her. Ende 2020 waren es nach Angaben des Landesbetriebs Information und Technik 60,12 Milliarden Euro. Allein 20,84 Milliarden Euro davon waren Kassenkredite, das heißt praktisch Kontoüberziehungen, ohne welche die Kommunen ihre laufenden Ausgaben nicht finanzieren konnten. Die Kommunen in NRW verbuchen somit zwei Drittel der Kassenkredite aller Städte und Gemeinden in Deutschland. Die kommunale Infrastruktur wird vernachlässigt oder gar bewusst aufgegeben, weil das Geld fehlt. Viele Kommunen in NRW stehen seit Jahren unter Haushaltsaufsicht. Sie müssen den Bezirksregierungen Kürzungskonzepte vorlegen und sich ihren Haushaltsplan genehmigen lassen. Das hat mit Selbstverwaltung nichts mehr zu tun.

Besonders betroffen ist das Ruhrgebiet, das jahrzehntelang die Folgen des Wegbrechens der industriellen Basis von Kohle und Stahl finanzieren musste. Die dortigen Kommunen sind sind besonders von Lang­zeiterwerbslosigkeit betroffen. Die Liquiditätskredite der Ruhrgebietsstädte betrugen Ende 2019 allein 13,8 Milliarden Euro. Das sind 2701 Euro je Einwohner:in, das Elffache der übrigen westdeutschen Flächenländer.

Dieser Kürzungsdruck bestimmt in den Kommunen, die sich in der Haushaltssicherung befinden, seit Jahren auch die Sozialpolitik. Auf der einen Seite werden notwendige Angebote, Projekte und Einrichtungen wie Jugendzentren, öffentliche Schwimmbäder und Bibliotheken dicht gemacht, Schulen nicht mehr saniert und Spielplätze wegen Sanierungsbedarf abgesperrt. Auf der anderen Seite steigen Abgaben und Gebühren für Kitas, die Müllabfuhr, die Straßenreinigung, aber auch Eintrittsgelder für Schwimmbäder, Museen und andere Kultureinrichtungen. Auch die Grundsteuer, die auf die Nebenkosten von Mieter:innen umgelegt wird, wird oftmals erhöht.

Wenn öffentliche Einrichtungen schließen oder teurer werden, leiden darunter ganz besonders die Armen, aber auch Menschen mit Durchschnittseinkommen. Nicht alle haben bekanntlich zuhause eine private Bibliothek oder einen Swimmingpool, und nicht jede Familie kann Alternativen zu gestrichenen Angeboten der Jugendzentren aus eigener Tasche zahlen. Deshalb sagen wir: Nur Reiche können sich arme Städte leisten. Wir streiten für lebenswerte Städte mit einem vielfältigen sozialen und kulturellen Angebot, in denen alle Menschen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

III.8.1. Für eine kommunale Altschuldenregelung!

An den hohen Altschulden der Kommunen hat der vor zehn Jahren beschlossene „Kommunale Stärkungspakt“ des Landes NRW nichts geändert. Das Gleiche gilt für die Maßnahmen zur Abfederung der finanziellen Belastungen durch die Coronapandemie. Bund und Land haben zwar einen Teil der zusätzlichen Kosten übernommen. Insbesondere die Übernahme von bis zu 75 Prozent der Kosten der Unterkunft für ALG-II-Berechtigte durch den Bund bringt den von einer hohen Langzeiterwerbslosigkeit betroffenen Kommunen auch auf Dauer Entlastung. Eine Übernahme der Altschulden, wie sie in Hessen und im Saarland umgesetzt wurde, blockiert die schwarz-gelbe Landesregierung jedoch seit Jahren. Dabei geht ein Großteil der kommunalen Schulden auf Entscheidungen in Bund und Land zurück. Die Kommunen erhalten zu wenig Mittel, dafür aber immer mehr Aufgaben. Beim schleppenden Kita-Ausbau und den Verschlechterungen durch das Landesgesetz KiBiz ist das deutlich spürbar.

Der Anteil der Kommunen am Steueraufkommen des Landes wurde von früher 28 Prozent nach und nach auf nur noch 23 Prozent reduziert. Jüngste Änderungen in die richtige Richtung werden für die Großstädte teilweise wieder zunichte gemacht, indem Schwarz-Gelb den Verteilungsschlüssel zugunsten kleinerer Städte anpasst.

Wir wollen im Landtag von NRW dafür sorgen, dass die Kreise, Städte und Gemeinden für ihre Aufgaben genügend Mittel erhalten. Hierzu ist eine Neuordnung der Kommunalfinanzierung dringend erforderlich. An einer Umverteilung von Steuermitteln zwischen Bund, Ländern und Kommunen nach unten führt kein Weg vorbei. Gleichzeitig müssen vor allem die Kommunen mit hoher Langzeiterwerbslosigkeit und damit hohen Armutsquoten weiter entlastet werden.

Gleichzeitig sind wir dafür, die Gewerbesteuer als wichtigste kommunale Steuer in eine Gemeindewirtschaftssteuer umzuwandeln, die die Spielräume der Kommunen erhöht und die Schlupflöcher für Konzerne schließt. Es kann nicht angehen, dass Konzerne ihre Gewinne wegrechnen können, während kleine Handwerker einen Großteil der Gewerbesteuer zahlen müssen. Gleichzeitig müssen alle unternehmerischen Tätigkeiten in die Gewerbesteuer einbezogen werden – bei ausreichenden Freibeträgen.

Eine weitere Schwächung der Kommunalfinanzen findet durch einen ruinösen Steuerwettbewerb zwischen den Gemeinden statt. Dem kann entgegengewirkt werden, wenn das Gemeindefinanzierungsgesetz dahingehend geändert wird, dass wenn Gemeinden ihre Hebesätze bei der Gewerbesteuer auf ein Niveau von unter 75 % des Landesdurchschnitts senken, die Zuweisungen an diese Kommunen zugunsten der übrigen entsprechend gekürzt werden.

Was tun?

  • Den kommunalen Anteil am Steueraufkommen des Landes in Richtung 28 Prozent erhöhen
  • Das Konnexitätsprinzip strikt einhalten: Bund und Land müssen zusätzliche Aufgaben für die Kommunen vollständig erstatten
  • Kosten für Sozialleistungen mittelfristig durch Land und Bund übernehmen
  • Einen Entschuldungsfonds des Landes zur Übernahme kommunaler Altschulden schaffen
  • Restriktive Regelungen zur Haushaltsaufsicht in der Gemeindeordnung NRW entschärfen
  • Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte für die Kommunen und ihre Spitzenverbände bei allen sie betreffenden Fragen einführen – Einrichtung einer Kommunalkammer
  • Bundesratsinitiative anstoßen zum Umbau der Gewerbesteuer in eine gerechte Gemeindewirtschaftssteuer

III.8.2. Solidarische Städte und Regionen für alle

Auch in NRW ist die Situation der Gemeinden und Landkreise unterschiedlich und vielfältig: Die meisten Städte im Ruhrgebiet hatten über viele Jahre Bevölkerungsverluste zu verzeichnen. In den vergangenen Jahren sind sie zwischenzeitlich wieder gewachsen. Das südliche Rheinland und studentisch geprägte Städte wie Münster wachsen dagegen kontinuierlich seit vielen Jahren. Gleichzeitig unterscheidet sich die soziale Lage ländlicher Regionen von der in den Großstädten. Es kann also keine einheitliche Entwicklungsstrategie für alle nordrhein-westfälischen Städte, Gemeinden, Kreise und Regionen geben. Wir brauchen regional angepasste Förderprogramme und Strategien. DIE LINKE setzt sich für gleichwertige Lebensbedingungen in allen Regionen und für eine nachhaltige Raumentwicklung ein. Regionale Kooperationen wollen wir stärken, denn in vielen Fällen lassen sich die kommunalen Aufgaben nicht in den Grenzen einer Stadt oder eines Kreises, Regionalrates oder Landschaftsverbandes bewältigen. Strukturen von Politik und Verwaltung gilt es entsprechend anzupassen.

Am Verkehrsverbund Rhein-Ruhr kann man sehen, dass hier großer Handlungsbedarf besteht. Weder die Fahrpläne, noch die Spurbreiten der Straßenbahnen passen zusammen. Im ländlichen Raum dagegen – oft nur wenige Kilometer außerhalb der Großstädte – gibt es mitunter fast gar keine öffentlichen Verkehrsangebote mehr. Im Sinne der Menschen in NRW ist es an der Zeit, kommunale Standortkonkurrenz zu überwinden und zusammenzuarbeiten. Nur so kann NRW sozialer und umweltfreundlicher werden. Gestärkt werden müssen dabei die Rolle der Zivilgesellschaft und ihre Beteiligung an kommunalen Entscheidungen, insbesondere in den Regionen mit großen sozialen Problemen.

Stärkung der Regionalräte und des RVR

Die LINKE NRW fordert eine Stärkung der Regionalräte Nordrhein-Westfalens und des Regionalverbandes Ruhr (RVR) im Rahmen der Landesplanung. Der Zugang zu allen planungs- und raumordnungsrelevanten Informationen und Unterlagen ist uneingeschränkt und kurzfristig zu gewährleisten. Ein entsprechendes Auskunftsrecht der Fraktionen der Regionalräte ist im Landesplanungsgesetz NRW zu verankern. Es muss die Einsichtnahme in die Planungsunterlagen der Landesplanungsbehörde NRW sowie in die Planungsunterlagen der einzelnen Kommunen umfassen. Auch Entwicklungsagenturen wie z. B. die Zukunftsagentur Rheinisches Revier GmbH (ZRR) sollen den jeweiligen Regionalräten auskunftspflichtig sein.

Was tun?

  • Bessere Bedingungen schaffen für die Zusammenarbeit zwischen Stadt, Umland und Regionen; Stärkung von Landschafts- und Regionalverbänden und Direktwahl der Mitglieder der Verbandsversammlungen, wie es im Regionalverband Ruhr (RVR) 2020 erstmals durchgeführt wurde
  • Strukturen der mittleren Verwaltungsebene (Bezirksregierungen) überprüfen und demokratisieren
  • Ungleiches nicht gleich fördern, sondern strukturschwache Regionen besonders unterstützen
  • Kommunale Strukturräte einführen und zivilgesellschaftliche Verbände wie die Gewerkschaften beteiligen
  • RVR am Gemeindefinanzausgleich beteiligen

III.8.3. Soziale und nachhaltige Politik auch in den Städten und Gemeinden

Eine solidarische Politik muss auch innerhalb der Städte und Gemeinden entwickelt und umgesetzt werden. Dies zu unterstützen ist auch eine Landesaufgabe. Denn obwohl Konzepte für eine solidarische Stadtplanung seit Jahren vorliegen, die sozial ausgewogene, gleichwertige Verhältnisse in den Stadtteilen anstreben, wachsen die Unterschiede und Gegensätze zwischen Arm und Reich in vielen Städten deutlich sichtbar.

Menschen mit geringem Einkommen, Erwerbslose und Migrant:innen leben in zunehmend von Armut und Zerfall der Infrastruktur geprägten Stadtteilen. Geflüchtete ziehen zunächst in sogenannte Ankunftsstadtteile. Sie alle können ein Leben in anderen Vierteln nicht bezahlen. Demgegenüber gibt es zunehmend sehr wohlhabende Stadtteile, wo ein Leben für die ärmere Bevölkerung schlicht unbezahlbar ist. Darauf muss die Stadtplanung eine Antwort finden, zum Beispiel durch den Bau von öffentlich geförderten Wohnungen auch in den wohlhabenderen Stadtteilen und den Erhalt und Ausbau der kommunalen Infrastruktur in den ärmeren.

Das Privateigentum an Grund und Boden ist eines der Hindernisse für eine soziale, ökologische und demokratische Entwicklung in Stadt und Land. Den Mechanismen des privaten Bodenmarktes können die Kommunen nur in begrenztem Umfang entgegenwirken. Es fehlen ihnen häufig die finanziellen und rechtlichen Mittel.

Wir brauchen endlich eine tatsächlich „dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozial gerechte Bodenordnung“, wie sie das Baugesetzbuch fordert. Eine plangerechte Nutzung von Baugrundstücken soll gefördert und der sparsame Umgang mit dem Boden erleichtert werden. So würde die Zersiedlung der Landschaft gebremst. Wichtig ist, dass Bund und Land den Gemeinden bei der Finanzierung helfen. Dazu benötigen wir eine engagierte Initiative aus NRW auf Bundesebene.

Was tun?

  • Sozial vielfältige Stadtteile durch Land, Bund und EU fördern, nicht zuletzt durch die Ausweitung von Ansätzen, wie sie im Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ vorgesehen sind
  • Soziale und nachhaltige Planungspolitik der Städte und Gemeinden fördern
  • Eigenanteil bei geförderten Projekten für überschuldete Städte reduzieren oder streichen
  • Die Bodenbesteuerung reformieren, um Spekulation zu verhindern
  • Preisbegrenztes Vorkaufsrecht der Kommunen bei Neuerschließungen einführen
  • Einen Bodenfonds des Landes einführen, durch den die kommunalen Spielräume bei der Entwicklung von Projekten erhöht werden
  • Kommunalen Grund und Boden nicht mehr veräußern – stattdessen Möglichkeiten zur Anwendung von Erbbaurechten ausweiten