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Rede Ates Gürpinar

Grußwort aus dem Parteivorstand

Liebe Genossinnen und Genossen,

vielen Dank. Vielen Dank für die Einladung, vielen Dank vor allem aber für die Motivation, die neue Kraft, die hier und heute, aber auch die letzten Tage und Wochen in und um die Partei herum entsteht.

Über 2000 Eintritte waren es in den letzten sechs Wochen bundesweit, knapp 300 Neueintritte allein in NRW, habe ich gehört? Habe auch gehört, ein paar davon sind heute hier. Seid herzlichst willkommen, ihr Neuen, ihr seid die Motivation für uns alle, willkommen in der LINKEN, einer Partei, die sich niemals mit den Verhältnissen von Krieg und Armut abfinden wird, einer Partei, die nicht nach rechts rückt, die den Kampf gegen die da oben aufnimmt.

Ich gestehe ein, Motivation war lange Zeit als Linker nicht einfach. Ich bin Optimist. Ihr wisst, ich bin Bayer – und als Sozialist in Bayern musst du Berufsoptimist sein, sonst hauts dich direkt von den Füßen.

Aber auch für mich wurde es richtig heftig. Als ich sah, dass wir auch in Hessen nicht mehr im Landtag sein werden: Bei dieser großartigen Fraktion, der Fraktion, die aufgedeckt hatte, dass die NSU-Akten nach Ansicht von Grüne und Union 120 Jahre verschlossen bleiben sollen, die Genossinnen und Genossen, die in Gräfenhausen die LKW-Fahrerstreiks unterstützten, die, die den Dannenröder Wald gegen die Autobahnen der schwarz-grünen Regierung zu verteidigen suchten: Diese letzte soziale Fraktion in Hessen flog einfach raus?

Und dann, als klar wurde, dass die einzige soziale Opposition im Bundestag als Gruppe weitermachen muss. Nach alldem musste auch ich, ein Berufsoptimist, schnaufen.

Und wenn die Stimmung im Lande so tickt, dass die Freien Wähler mit einem Hubert Aiwanger vier Prozent hinzugewinnen, nur weil er mit einem antisemitischen Hetzblatt in Verbindung gebracht wird, dann bleibt der Optimismus im Halse stecken. Das ist der Zustand. Und da gibt es nicht mehr viel Optimismus, da gibt es nackte Angst.

Genossinnen und Genossen, und deswegen bin ich dankbar, dass sich diese Motivation organisieren lässt, die aus und um die Partei heraus entsteht. Es geht was, auch weil es andere uns wieder zutrauen:

Inge Hannemann, die ihr daher kennt, weil sie sich wie eine Löwin gegen Hartz IV und Sanktionen gegen die Ärmsten einsetzt, sie trat kürzlich wieder ein mit dem Satz: „Unser Land braucht mehr denn je eine starke Linke, welche eine Politik umsetzt, die immer die Klassenfrage in den Mittelpunkt stellt.“ 

Oder Rouzbeh Taheri, einer der Gesichter des Berliner Volksentscheids Deutsche Wohnen und Co enteignen: „Die Linke ist die einzige Partei, die den Stimmen der Armutsbetroffenen Gehör verschafft, sich gegen den zunehmenden Rüstungswahn stellt und der parteiübergreifenden Abschiebe-Euphorie widerspricht. Ohne sie würde es noch finsterer werden in diesen finsteren Zeiten. Sie wird dringend gebraucht.“

Tausende treten nun in diese Partei ein: Das ist die Motivation, das ist die Hoffnung auf den Erfolg einer linken Partei im Zentrum des europäischen Kapitalismus. Eine linke Partei besteht nicht aus irgendwelchen Granden, die Linien vorgeben und denen gefolgt werden muss. Das ist strukturell durchaus eher rechts.

Eine Linke bekommt ihren Erfolg nicht durch Unternehmensspenden, die andere Parteitage sponsern: Eine Linke besteht aus ihren Mitgliedern, aus den Beschäftigten, aus denen, die sich organisieren, um sich zu wehren, das ist links, das seid ihr, das motiviert, das ist die Grundlage für den Erfolg, liebe Genossinnen und Genossen.

Aber ich merke, auch wenn bei einigen die Hoffnung und die Motivation langsam zurückkommt: Es reicht nicht, wenn sie bei einigen von uns langsam wieder keimt, die Hoffnung, es geht um mehr.

Es geht um die Veränderung der Gesellschaft, es geht um ein anderes Zusammenleben, es geht darum, dass die Welt eine bessere wird. Und dieser Weg ist lang, diese Hoffnung, die ist gerade verdammt weit weg:

2022 sind so viele Menschen gestorben wie seit 30 Jahren, seit dem Völkermord in Ruanda nicht mehr. Wir können jetzt schon ahnen, dass es 2023 noch mehr Tote werden.

Und es ist jetzt schon klar, dass dieses Jahr das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnung wird. Aber wenn Kriege toben und der Klimawandel wütet, dann ist Flucht vorprogrammiert. Und die Menschen, sie fliehen. Sie fliehen in die reicheren Länder, in denen Frieden herrscht, die aber vielfach schuld sind an den Kriegen, die vielfach schuld sind am Klimawandel.

Und diese Länder lassen diese Menschen nicht ins Land. Sie lassen sie ertrinken, sie ziehen die Mauern höher und höher, sie schicken sie zurück, dorthin, wo sie verfolgt werden.

Warum? Wir wissen: In den doch so reichen Nationen wird die Spaltung ebenfalls immer größer, immer heftiger, immer perverser: Die reichsten zwei Familien besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung in Deutschland.

Aber anstatt das Geld derer in die Hand zu nehmen, die es haben, anstatt damit die Kommunen auszustatten, um Wohnungen zu bauen für diejenigen, die da fliehen, und für diejenigen, die sich die Miete nicht mehr leisten können, aber schon länger hier leben, wird einmal mehr behauptet: Das Boot ist voll.

Eine Gesellschaft verliert die Hoffnung. Ich war vor kurzem bei einer Fernsehsendung: Dort sollten Parteienvertreter erklären, wie das Problem mit der Migration gelöst werden soll. Ich sagte, ich will Menschen- und Asylrecht einhalten, ich will daher niemanden ertrinken lassen, sondern mit einer Vermögenssteuer Sprachkurse, psychische Betreuung und Wohnungen finanzieren, und zwar insbesondere letzteres für die, die kommen, aber auch für die, die schon länger hier leben – eben für alle, die eine Wohnung brauchen.

Man konnte sich dort entscheiden, wie gut man die Idee fand: Viele fanden die Idee ganz gut, die Moderatorin ging zu einer Person, die anzeigte, dass sie die Idee scheiße fand: Und die sagte: Die Reichen haben eine zu große Lobby, er glaubt, das würde nicht passieren.

Das ist das Problem: Die Menschen haben keine Hoffnung mehr. Sie geben sogar die Menschenrechte auf, weil sie nicht mehr dran glauben, dass wir an die Vermögen der Reichen können.

Warum: Das liegt an unserer Schwäche, und das liegt an der Ampel, die nahezu alle Hoffnungen auch auf kleine Verbesserungen fahren ließen: Alles wurde teurer, nur für das Militär wird mehr Geld ausgegeben, und während die Ampel versagt, krakeelen die Konservativen und die Faschisten, noch weniger für die Armen, noch weniger Platz für die Geflüchteten, noch mehr Geld für die Kriege.  

Da ists klar, dass bei manchen die Hoffnung schwindet. Aber das, liebe Genossinnen und Genossen, das müssen wir ändern. Es ist an uns, diese Hoffnung zu stärken, diese Hoffnung, die in unserer Partei langsam zurückkommt, die Menschen wieder in uns setzen, auf die Gesellschaft zu übertragen: Wir müssen dafür sorgen, dass sich unsere Klasse nicht spaltet.

Und es gibt Hoffnung: Denn wisst ihr, was für die Mehrheit der Bevölkerung die besten Wege aus der gegenwärtigen Haushaltskrise sind? Während die Ampel tatenlos in die Feiertage flüchtet, zeigte eine Umfrage, dass die Menschen keine Sozialleistungen kürzen, keine Klimaschutzmaßnahmen reduzieren will: Die Mehrheit will eine Reichensteuer, sie wollen klimaschädliche Subventionen stoppen. Das wollen die Menschen, das ist deren Wille.

Aber es ist nicht nur, dass die Menschen etwas anderes wollen. Sie tun auch was dafür. Was waren das für Streiks die Woche: Die IG-Metall, die Bahn, der Nahverkehr, die Tarifrunde der Länder: Jede Tariferhöhung wird gerade hart erkämpft, aber sie werden erkämpft, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Und ich will nicht – oder nur ein bisschen – stolz darauf sein, dass in dem Bereich, wo ich zuständig bin, immer mehr geht: Während Lauterbach von Revolution spricht, aber doch nur Kliniken schließen will, gibt es eine krasse Entwicklung in der Pflege: Fast auf Hunderte Streiktage kamen die Pflegekräfte in NRW im letzten Jahr.

Wer schon ein bisschen länger die Krankenhauspolitik verfolgt, der weiß, dass das nicht immer so war: Pflege galt lange als nicht streikfähig, weil die Kolleginnen und Kollegen die Patient:innen nicht im Stich lassen wollten. Aber irgendwann wurde klar: Weil die Kolleginnen und Kollegen die Patient:innen nicht im Stich lassen wollen, organisieren sie sich.

Ich war die letzten Tage und Wochen auf unterschiedlichen Streikkundgebungen, die Krankenhausbeschäftigten sind bei den Streiks ganz vorne mit dabei. Es bewegt sich was: Die Menschen wehren sich und deswegen streiken sie, deswegen organisieren sie sich: In Gewerkschaften, in Sozialverbänden, ja, auch in Umwelt- und die Friedensverbänden. Und ja, auch in unserer Partei, in der LINKEN, in eine Partei, die sich mit den Verhältnissen nicht zufrieden gibt, die wieder Hoffnung verbreitet.

Wer hat eigentlich von euch in den letzten Wochen einmal die Frage gestellt, ob jmd anderes bei uns eintreten möchte?

Ich weiß, es fällt uns allen schwer. Vor einem Monat hatte ich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Gespräche mit einer Gruppe von Pflegekräften aus NRW, mit den Heldinnen und Helden, die an den Uni-Kliniken erfolgreich Entlastungstarifverträge erstritten: Nach dem ersten Tag kamen sie zu mir und scholten mich, warum ich sie nicht zum Eintritt aufgefordert hatte. Am nächsten Tag nahm ich Beitrittserklärungen mit zum Gespräch, da sind dann sechs eingetreten.

Und nun habe ich Mitte der Woche mal zum Hörer gegriffen und zwei Gewerkschaftssekretäre gefragt, ob sie bei uns eintreten wollen: Wir treffen uns jetzt im Januar.

Und deswegen meine Bitte an euch: Schaut in eure Telefonliste und geht die Namen durch: Ruft bis morgen Abend zwei Menschen an, fragt sie, ob sie Genossin, fragt ihn, ob er Genosse werden möchte. So funktionierts, und nicht anders.

Genossinnen und Genossen: Vieles, nicht nur in Deutschland, droht gerade nach Rechts zu kippen: Aber gleichzeitig gab es kürzlich ein Generalstreik im Baskenland, Lula hat in Brasilien dieses Jahr gegen allen Widerstand die Wahl gewonnen, im Iran hat die feministische Revolution nach über einem Jahr und Hunderten von Toten nicht aufgegeben.

Wir sind hier im sicheren Land, und gleichzeitig im Hort des europäischen Kapitalismus: Wenn diese Menschen nicht aufgegeben haben, wenn sie sogar Siege erringen, wer sind wir, dass wir rumlamentieren, wer sind wir, dass wir nicht hier und heute versprechen, dass wir unseren Beitrag leisten!?

Ihr habt euch nun zusammengefunden, im Dezember, einem dunklen Monat: Ihr diskutiert über die Zukunft der Partei, über die Einbindung der Neuen, wie ich im Leitantrag lesen konnte. Diskutiert aber auch über die Erfahrung der Alten in dieser Partei. Es gibt verdammt viel zu tun, wir brauchen euch alle: Die Klimaktivistinnen, die Rentner, die Studis, die Gewerkschafter. Gewinnen tut die Klasse nur gemeinsam.

Genossinnen und Genossen, gegenwärtig ist die Nacht finster, es ist Winter: Armut, Kriege und Faschismus sind auf dem Vormarsch. Aber es gibt Hoffnung. Und vor Weihnachten muss ich sagen: Die Hoffnung ist nicht da oben, die Hoffnung ist hier im Raum, sie ist hier im Saal, es sind unsere Beschäftigten, es sind die Menschen, die zu uns kommen.

Wie heißt es so schön: Es rettet uns kein höhres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun!

Ja, es ist so einfach und so schwer: Wir müssen das schon selber tun!

Wir sind das Bollwerk gegen Rechts, wir sind die, die denen da oben den Kampf ansagen, wenn sich niemand mehr traut.

Und wir werden in den kommenden Monaten beweisen, dass es möglich ist: Danke, dass ihr da seid, Glückauf, viel Kraft, einen erfolgreichen Parteitag!