Antikriegstag: Wer Klimaschutz will, muss radikal abrüsten

DIE LINKE NRW
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Die Forderungen zum diesjährigen Antikriegstag sind "Atomwaffenverbotsvertrag der UN sofort unterzeichnen" sowie "Abrüsten statt aufrüsten".

Der Antikriegstag ist Anlass, die historischen Lehren aus dem Überfall der Nazi-Wehrmacht auf Polen am 01. September vor 80 Jahren und die Verbrechen, die in deutschem Namen in Europa und der Welt verübt wurden, in Erinnerung zu rufen.

Hierzu und zu den aktuellen Forderungen der Friedensbewegung sprach heute auf der Antikriegskundgebung in Köln Hans Decruppe, stellvertretender Landessprecher der Partei DIE LINKE in NRW.

Er sprach auf Einladung der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgenerInnen), deren Landesvorstandsmitglied und Landesvorsitzender in NRW er langjährig war.


Rede zum Antikriegstag am 31. August 2019 in Köln, Alter Markt – Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für Frieden und Abrüstung,

der Antikriegstag, den wir morgen am 01. September zum 80. Mal begehen, ist für uns ein Tag, an dem wir die Lehren der Geschichte in Erinnerung rufen und uns tagespolitisch eindeutig positionieren.

Ich bin nach dem Krieg geboren, aber die Folgen des Krieges habe ich noch hautnah miterleben müssen: in der Person meines Vaters. Von Beruf Packer in einer Textilfabrik wurde seine Jugend durch den Reichsarbeitsdienst militarisiert und durch die Wehrpflicht für die verbrecherischen Überfälle auf unsere europäischen Nachbarn missbraucht.

Auch nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft, die für ihn bis Dezember 1949 ‐ vier Jahre länger als der Krieg ‐ dauerte, trug er den Krieg noch in sich ‐ für Jahrzehnte. Er hatte Magengeschwüre und eine Vielzahl von Granatsplittern steckten in seinem Körper, begannen Jahre später zu wandern und zu eitern. Und ich hatte den Eindruck: auch seine Seele eiterte. Denn über die Zeit des Krieges konnte er nicht sprechen; und ich– zumal noch als Kind – war nicht in der Lage, ihn zu fragen.

Ich fragte mich aber: Wieviel Leid muss dieser Weltkrieg über die Menschen gebracht haben?

80 Millionen Tote weltweit, darunter 27 Millionen in der Sowjetunion, über 13 Millionen in China und über 6 Millionen in Polen. Ungezählt die Verstümmelten, die psychisch Zerstörten, die Trauer um die Verluste von Angehörigen.

Die Dimension des Kriegsterrors, den die Naziwehrmacht im deutschen Namen nach dem 1. September 1939 verübte, die Verbrechen, insbesondere in Polen und Russland, d.h. der damaligen Sowjetunion, die Beteiligung der Wehrmacht an der Verfolgung der Juden und nationalen Minderheiten, die systematische antikommunistische Ausrichtung des Krieges, z.B. mit dem sog. Kommissarbefehl, das alles ist unfassbar und darf nie vergessen werden. 

Wie heißt es in dem Kommissarbefehl des Oberkommandos der Wehrmacht:

„Die Truppe muss sich bewusst sein: In diesem Kampf ist Schonung und völkerrechtliche Rücksichtnahme diesen Elementen gegenüber falsch.“

Das alles habe ich erst später erfahren, musste es mir anlesen; denn in der Schule im kalten Krieg der 60er Jahre wurde es nicht gelehrt.

Im kalten Krieg musste schließlich verschwiegen werden, dass es Nazi‐Generale und Offiziere sind, die Hitler beim Überfall auf Polen und die anderen europäischen Länder willig und treu dienten und die – erst geheim und hinter dem Rücken von Parlament und Öffentlichkeit ‐ die Wiederbewaffnung und Remilitarisierung der Bundesrepublik betrieben.

Auch an diese historischen Fakten muss erinnert werden, wenn man des Antikriegstages gedenkt. Nur wer die Geschichte kennt, kann verhindern, dass sich derartige Verbrechen wiederholen.

Wir sagen klar: Nie wieder Krieg!

Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG‐VK), für die ich hier heute sprechen darf, sagt in ihrer Grundsatzerklärung:

„Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit.“

Ja, die historische Wahrheit ist: Jeder Krieg war und ist Terror. 

Wenn das so ist, fordere ich: Nie wieder darf es Krieg unter Einsatz von Deutschen geben. Die Beteiligung von Deutschen an jeglichen Kriegseinsätzen in fremden Ländern und jede Beihilfe daran ‐ in welcher Form auch immer – ist wie Terrorismus strafrechtlich zu verfolgen.

Umso erschreckender und gefährlich ist es, dass es wieder eine Partei gibt, deren Parteivorsitzender Gauland erklärte:

  „Wir haben das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“

Und deren Fraktion im Bundestag im Juni dieses Jahres eine Broschüre zur Bundeswehr herausgibt, in der es u.a. heißt:

„Es ist die Pflicht der militärischen Führung, die Männer und Frauen der Bundeswehr körperlich und mental auf die Unerbittlichkeit des Kampfes vorzubereiten. Die Ausbildung wird im Bewusstsein dieses Prinzips durchgeführt. „Schweiß spart Blut“ hat unverändert Gültigkeit.“

Und weiter:

„Die Bundeswehr pflegt einen starken Korpsgeist, ihre Traditionen und deutsche Werte. Die Tugenden des Soldaten sind Ehre, Treue, Kameradschaft und Tapferkeit.“

„Unerbittlichkeit des Kampfes.“ „Deutsche Werte.“ „Ehre.“ „Treue.“ Das ist die militaristische Geisteshaltung, die die Verbrechen des 2. Weltkrieges erst möglich machten. Das ist nur leicht verbrämter Nazi‐Sprech.

Denn wie hieß es doch auf den Koppelschlössern der SS‐Totenkopfverbände und Waffen‐SS:

  „Meine Ehre heißt Treue.“

Und diese Partei beklagt in der besagten Bundeswehr‐Broschüre das „jährlich schwankende Budgetrecht des Parlaments“ und fordert wörtlich: „Das Grundgesetz muss in einer Form angepasst werden, dass eine Gefährdung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu jedem Zeitpunkt ausgeschlossen ist.“

Das ist ein Frontalangriff auf die Demokratie, gezielt auf das fundamentale Verfassungsrecht, dass allein das demokratisch gewählte Parlament über den Staatshaushalt und damit auch über Militärausgaben entscheidet.

Die Forderung der AfD, die Budgethoheit des Parlaments über die Militär‐ und Rüstungsausgaben abzuschaffen, ist explizit verfassungsfeindlich. 

Aber nicht weniger verfassungswidrig handeln Vertreter der Bundesregierung, wenn sie gegenüber anderen Staaten Verpflichtungen zur Aufrüstung zusagen, ohne dabei den Parlamentsvorbehalt zu erklären.

Die Zusage der Bundesregierung auf der Nato‐Tagung im Jahr 2014 in Wales, wörtlich:

„(…) verpflichteten sich diejenigen Bündnispartner, deren Anteil vom BIP für Verteidigungsausgaben gegenwärtig unter diesem Richtwert liegt, die Verteidigungsausgaben nicht weiter zu kürzen, sondern die realen Verteidigungsausgaben im Rahmen des BIP‐Wachstums zu erhöhen und sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen.“

Diese Verpflichtung, die unter dem in Wales anwesenden Außenminister Steinmeiner, dem heutigen Bundespräsidenten, abgegeben wurde, ist verfassungswidrig und völkerrechtlich irrelevant.

Wir lehnen das 2‐%‐Ziel ab! Weil wir nicht Aufrüstung, sondern Abrüstung brauchen.

Dringender denn je. 2 %, das wären höhere Rüstungsausgaben als diejenigen von Russland. Was für ein Irrsinn.

Dabei steigt die Kriegsgefahr weltweit. Der Iran wird unmittelbar mit Krieg bedroht. Die USA und anschließend auch Russland kündigten den INF‐Vertrag über Mittelstreckenraketen, der START‐Vertrag über die Reduzierung der Langstreckenraketen läuft 2021 aus. Das Ende des Rüstungskontrollsystems droht. Auch der Weltraum und das Internet werden militarisiert. Neue Technologien wie superschnelle Raketen, Laserwaffen, autonome Drohnen und Killer‐Roboter erhöhen die Kriegsgefahr. 

Heute herrschen in vielen Ländern erneut Krieg oder Bürgerkrieg. Krieg ist Hauptursache für Flucht und Vertreibung. Die Grundnormen des Völkerrechts werden immer wieder und von vielen Staaten verletzt. Deutschland und andere EU‐Staaten waren und sind an Kriegen beteiligt, nicht zuletzt durch Rüstungsexporte, die militärische Rolle der EU wird fortschreitend ausgebaut.

Hierzu sagen wir mit aller Entschiedenheit: Nein! 

Die Politik in Berlin muss sich – ja wir alle müssen uns dieser Politik der Konfrontation, Militarisierung und Kriegstreiberei entgegenstellen. 

Ein wichtiger Schritt wäre, endlich den Atomwaffenverbotsvertrag der UN zu unterzeichnen. In einer Umfrage vom Juli unterstützen 91 % der Bundesbürger*innen diese Forderung. Es ist ein Skandal und politisch verantwortungslos, dass die Bundesregierung dies nicht tut.

Militär und Rüstung sind völlig ungeeignet, die drängenden globalen Probleme ‐ seien sie sozial oder ökologisch ‐ zu lösen. Im Gegenteil: Nicht erst der Krieg mit seinen Verwüstungen ist ein Verbrechen. Bereits die Kriegsvorbereitung, Militär und Rüstung sind ein Verbrechen, denn sie verbrauchen die natürlichen, materiellen, wissenschaftlichen und finanziellen Ressourcen, die zur Lösung der globalen Probleme dringend benötigt werden.

Geld für öffentliche Investitionen fehlt auch bei uns an allen Ecken und Enden– ob nun für die Gestaltung der sozialökologischen Transformation durch Klimawandel und Digitalisierung, in der Alterssicherung und Pflege, beim sozialen Wohnungsbau, bei der Entwicklung eines umfassenden Gesundheitssystems oder bei der Modernisierung von Schulen und dem Kita‐Neubau, stellt der DGB – der Deutsche Gewerkschaftsbund – in seiner Erklärung zum diesjährigen Antikriegstag fest.

Und mit dem DGB fordern wir die Bundesregierung auf, statt mit Unsummen das Wettrüsten anzuheizen, die dafür vorgesehenen Mittel in ein sozial gerechtes Deutschland und Europa mit nachhaltigen Zukunftsperspektiven zu investieren.

Und ein letzter Punkt in meiner Rede:

Wer Klima‐ und Umweltschutz will, muss radikal abrüsten!

Nur ein Beispiel: Ich wohne in Bergheim, im Rheinischen Revier, und das Braunkohlekraftwerk bei mir um die Ecke in Niederaußem bläst jährlich 25 Mio. t CO2 in die Atmosphäre. Dieselbe Menge CO2 emittiert das US‐Militär. Das US‐Militär verursacht allein mehr Emissionen als Länder wie Portugal, Schweden oder Dänemark. [Das zeigt eine Untersuchung britischer Wissenschaftler der Universitäten Durham und Lancaster, veröffentlicht im Juni in der Zeitschrift „wiley online library“:

https://rgs‐ibg.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/tran.12319 ]

Für die Bundeswehr gibt es bislang keine verwertbaren Daten.

Wenn wir den Ausstieg aus der Braunkohle wollen, und den wollen wir, dann brauchen wir das Geld, das derzeit für Rüstung verschwendet wird, für die soziale Gestaltung des Strukturwandels in der Region, zur Sicherung und Schaffung guter zukunftsfähiger Arbeitsplätze. 

Ich freue mich, dass Anna und Luzie von Fridays for Future heute bei uns sind und reden. Die Friedensbewegung braucht die Klimabewegung an ihrer Seite, so wie die Gewerkschaftsbewegung unverzichtbar ist. Auf den Demos und Streiks für Klimaschutz gehören

Transparente mit der Forderung:  Wer Klimaschutz will, muss radikal abrüsten!

Deshalb: Lasst uns gemeinsam für eine lebenswerte Zukunft kämpfen.

An diesem Antikriegstag und gemeinsam immer wieder. Wir brauchen einen langen Atem.

Vielen Dank.