Referat von Wolfgang Cremer (ver.di)

Care-Konferenz am 22.9.2018 in Bochum

Auszüge (Zitate) aus dem Referat von Wolfgang Cremer:

Krankenhäuser und Finanzierung in NRW

"In Nordrhein-Westfalen könnte ja der Eindruck entstehen, so wie die öffentliche Diskussion manchmal läuft, wir seien überzogen von einem Heer von profitgierigen privaten Krankenhausbetreibern, und eigentlich fände nichts anderes mehr statt. Das ist ein Trugbild. In NRW sind 65 % aller Krankenhäuser in kirchlicher Hand. Dann kommen die öffentlichen, immer noch, und erst dann kommen die Privaten. Die fallen aber so furchtbar auf.

Wenn man beispielsweise auf die Achse Wuppertal – Duisburg – Krefeld guckt. Dann hat Helios mit Wuppertal und Krefeld zwei Maximalversorger in der Hand.  In Duisburg ist es ein ehemaliges kirchliches Krankenhaus, das Helios übernommen hat. Sie würden so furchtbar gerne aktuell in Köln reinknacken. Das würde ihnen gut gefallen, weil sie dann endlich richtig im Rheinland drin wären. Und auch Dortmund würde ihnen sehr gefallen. Kriegen sie aber nicht. So ohne weiteres nicht in NRW, und das ist ihr Problem.

Fakt ist, im Unterschied zu dem, was viele glauben, ist Nordrhein-Westfalen, was die Krankenhauslandschaft betrifft, ein immer noch kirchlich geprägtes Land. Und Kirche ist auch moralisch der bessere Ausweg, wenn man das kommunale Krankenhaus loswerden will. Auch das gilt immer noch. Auch, wenn es Ausreißer gibt. Zuletzt in Velbert, da haben zwei Stadträte entschieden, dass sie ihr Krankenhaus an Helios verhökern. Das haben sie dann auch gemacht. Die Folgen sind fatal, wie wir wissen. Die gesamte Führungsmannschaft dort ist gegangen, nicht gegangen worden, weil sie nicht bereit war, sich den Mechanismen von Helios zu unterwerfen.

Die Mechanismen von Helios sind ganz einfach. Helios übernimmt eine kommunale Klinik, kommt mit der ganzen Macht des Geldes, baut in der Regel neu. Und innerhalb von sechs Jahren haben diese Kliniken eine Gewinnmarge von 15% pro Jahr zu erreichen. Schafft die Geschäftsführung das nicht, wird sie ausgetauscht, ganz einfach. In der Regel gelingt das übrigens, das ist das Fatale daran.

Die Landschaft in NRW ist also sehr wohl mit Privaten durchsetzt, aber sie dominieren die Landschaft noch nicht. Inge hat vorhin erwähnt, in welcher Klammer die Krankenhäuser stehen. Ich fokussiere heute mehr auf die Krankenhäuser, denn wenn wir das Fass der Altenpflege heute aufmachen, wird es noch schlimmer.

Wer glaubt, in der Altenpflege sei irgendetwas besser geregelt, als in den Krankenhäusern, ist auf dem Holzweg. Da ist es noch viel übler. Und wir werden uns der Altenpflege zuwenden müssen. Auch das muss auf die Tagesordnung. Das gelingt in Teilen, noch nicht so sehr, wie in den Krankenhäusern, weil die gerade sehr im Fokus stehen, auch sicherlich wegen der Arbeitskämpfe. Aber was sich in der Altenpflege abspielt, ist absolut fatal. Da haben wir in NRW eine Entwicklung, da ist inzwischen ein Drittel der Altenpflege in privater Hand. Das ist bedenklich und steigt stetig.

Die anderen großen Player in der Altenpflege sind die Wohlfahrtsverbände, Kirche, Arbeiterwohlfahrt und DRK allen voran. Wieder: Kirche. Das deutet schon darauf hin, wen wir, je nachdem, wie die Auseinandersetzung weiter geht, als Partner dringend brauchen. Weil wir ohne sie nicht so richtig etwas in Bewegung gesetzt bekommen, jedenfalls nicht in NRW. Wir werden sie dringend brauchen, die Kirchen als Partner."

Die Situation der Beschäftigten in der Pflege

"Die Wut der Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern ist groß, aber eben auch der Vertrauensverlust.  Und das ist das eigentlich bittere. Kein Mensch traut mehr dieser Politik. Niemand glaubt, dass dort irgendwann etwas Wirksames passiert. Das ist die aktuelle Sicht der allermeisten Beschäftigten in der Pflege: Wir werden von allen im Stich gelassen.

Die Frage ist also, wie kriegen wir diese miserablen Rahmenbedingungen denn geändert? Gewerkschaften sind dazu da, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern.

Die Kolleginnen und Kollegen in den Unikliniken und in den anderen Krankenhäusern, die jüngst gestreikt haben, haben zumindest überwiegend nicht deswegen gestreikt, weil sie besonders politisiert sind und ihren Kampf als Teil einer großen politischen Auseinandersetzung sehen. Sie haben vielmehr deswegen gestreikt, weil sie nicht mehr Luft holen können, weil sie nicht mehr wissen, wie sie das bewältigen sollen, weil ihre Gesundheit und ihr Privatleben kaputt gehen und sie davon die Nase voll haben. Sie haben gestreikt, weil sie mehr Personal wollen, geregelte Arbeitszeiten, vernünftige Arbeitsbedingungen und guten Gesundheitsschutz.

Das heißt, die Arbeitskämpfe sind Teil einer solchen Auseinandersetzung, aber damit alleine können wir sie nicht gewinnen. Wenn wir die Utopie wahr machen wollen, dass Gesundheit wieder fester Bestandteil öffentlicher Daseinsvorsorge wird – das bedeutet auch nicht mal eben zurück in die Kommunalisierung – dann ist die Frage, wie bekommen wir das hin? Wie bekommt man es hin, dass Krankenhäuser und andere Teile von Gesundheit und Pflege in öffentlicher Hand sind und man darin so viel Geld generieren kann, dass ein solches Unternehmen gesund bleibt, in sich selbst investieren kann, die baulichen Anlagen aufrecht erhalten kann, modernisieren und Personal einstellen kann, damit aber keine Gewinne abgezockt werden.

Wie kriegen wir mehr Mitbestimmung in den Gesundheitsbereich, in die Betriebe und auch auf der politischen Ebene? Kurz gesagt, wie schaffen wir das, diesen gesellschaftlichen Verteilungskampf hinzubekommen?"

Kämpfen für ein soziales Gesellschaftssystem

"Eigentlich müssen wir das noch ausweiten: Wir können gar nicht allein auf das Gesundheitswesen gucken. Gerade wird diskutiert über ein „Gute-Kita-Gesetz“. Da läuft es mir kalt den Rücken runter, wenn ich höre, was da drin sein soll. Das reicht hinten und vorne nicht. Wir werden wieder Arbeitskämpfe im Sozial- und Erziehungsdienst erleben, wahrscheinlich in 2020. Weil auch dort die Verhältnisse miserabel sind.

Überall da, wo es um Gesundheit und Soziales geht, müssen wir kämpfen in einem der reichsten Länder der Erde für ein soziales Gesellschaftssystem. Dazu müssen wir die Masse der Menschen auf die Idee bringen, dass es eine andere Welt gibt, dass es auch anders geht, dass man Geld anders verteilen kann. Dass man sich um Alte und Kranke, um Kinder, um Bildung und all das auch anders kümmern kann und das Geld dafür da ist.

Das bedeutet, dass dabei jeder seinen Job macht und wir uns am Ende auf der Straße treffen mit einem Großteil der Menschen."