VI.5 Weiterbildung: Angebote ausbauen und Personal anständig bezahlen

DIE LINKE NRW setzt sich für eine öffentlich verantwortete, getragene und finanzierte Weiterbildung und einen Ausbau der Volkshochschulen, den örtlichen, wohnortnahen Zentren für Weiterbildung ein. Das Angebot muss alle Bildungsbereiche umfassen und die „Entfaltung der Persönlichkeit fördern, die Fähigkeit zur Mitgestaltung des demokratischen Gemeinwesens stärken und die Anforderungen der Ar-beitswelt bewältigen helfen“, wie es im Weiterbildungsgesetz für NRW in der Fassung von 2005 heißt.

Dabei muss ein besonderes Augenmerk der Grundbildung, dem Nachholen von Schulabschlüssen und den Angeboten zur Integration sowie der politischen Bildung gelten. Diese Angebote müssen für alle entgeltfrei sein! Außerdem ist darauf zu achten, dass alle Angebote der öffentlichen Weiterbildung inklusiv sind. Auch aufsuchende Ansprache- und Motivierungsformen gehören zum Aufgabenkatalog. Andere Einrichtungen und Träger sollten öffentliche Angebote ergänzen, nicht ersetzen. Abwertung und Bedeutungsverlust der Weiterbildung, ihre selektierende Ausrichtung, die ausufernde prekäre Beschäftigung und die schleichende Entprofessionalisierung und Entwertung dort müssen dringend geändert werden.

VI.5.1. Bildungsauftrag auf gesetzlicher Grundlage

Der Ausbau der Weiterbildung zu einem gleichberechtigten Teil des Bildungssystems war bereits die visionäre Forderung des Deutschen Bildungsrates im Strukturplan für das Bildungswesen 1970. Der öffentliche Bildungsauftrag für Erwachsenen- und Weiterbildung beinhaltet demnach das Recht auf Lernen in jedem Alter, auch und besonders für die größte Bevölkerungsgruppe, die Erwachsenen, also Personen im Alter zwischen 18 und über 80. Derzeit liegt ihre Beteiligungsquote unter ein Prozent! Dafür müssen Standards und Strukturen in den Einrichtungen der Weiterbildung gesetzlich gesichert werden. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die IG Metall und Ver.di diagnostizieren als „Krankheitsbild hohe soziale Selektivität, Unterversorgung mit Angeboten, gravierende Qualitätsprobleme und Intransparenz“. Zu ergänzen wären Deregulierung und weitergehende Prekarisierung der Beschäftigung. Professionelles hauptamtliches pädagogisches Personal wurde immer häufiger ersetzt durch fachfremdes (Verwaltungs-)Personal und hauptberufliche Stellen tariflich abgewertet.

Grundlegende Umsteuerung und weitgehende Verbesserungen sind leider nicht angelegt in der beschlossenen Novellierung des Landesweiterbildungsgesetzes. Zwar wird die Problematik der Beschäftigung soloselbstständiger Kursleitungen benannt, aber keine Vorschläge zu Besserstellung und Finanzierung oder einem entsprechenden Gestaltungsauftrag gemacht.

Nach wie vor aber müssen die öffentlichen Einrichtungen immer größere Anteile ihrer Haushalte am Markt erwirtschaften, um unzureichende Projektmittel konkurrieren, die Teilnehmenden immer höhere Kosten übernehmen und das Personal Abwertung in Vergütung und sozialer Sicherung tragen. Das Postulat des lebenslangen Lernens wird konterkariert. Zentrale Bestandteile des Weiterbildungsgesetzes NRW (WBG NRW) wie die Pflichtaufgabe, der Versorgungsauftrag und die tatsächliche Offenheit für alle sind damit auch nach der Novellierung, beschlossen am 30.6.2021, weiterhin hochgradig gefährdet.

Was tun?

  • Ressourcen für einen tatsächlichen Ausbau des Versorgungsauftrages nach dem Weiterbildungsgesetz NRW (WBG NRW) zur Verfügung stellen. 1 Prozent des Landes-Bildungsbudgets soll für die Förderung der Weiterbildung im Lande, für Angebots- und Beschäftigungsqualität kurzfristig zur Verfügung stehen, wie auch die GEW NRW fordert.
  • Von den Kommunen und Gebietskörperschaften als Träger erwarten wir, dass sie die Weiterbildungsangebote im Versorgungsgebiet nicht weiter durch Fusion von Volkshochschulen oder Etatkürzungen ausdünnen, sondern ihre Finanzmittel verlässlich bereitstellen und aufstocken. Eine besondere Förderung der politischen Bildung ist angesichts der gesellschaftlichen Lage und fehlender „aufklärender Bildung“ dringend geboten.
  • Nur eine langfristig kostendeckende Finanzierung und koordinierte Verantwortung in der öffentlichen Weiterbildung durch Bund, Länder und Gemeinden, wie z. B. vorgeschlagen in dem Gutachten „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ durch die sog. „Timmermann-Kommission“, bietet langfristige Sicherung einer qualitativ hochwertigen Weiterbildung.

VI.5.2. Weiterbildungsstrukturen ausbauen und stärken

Wir wollen bundesweite Regelungen für ein kohärentes inklusives Weiterbildungssystem, in dem die allgemeine, kulturelle, politische und berufliche Bildung gleichermaßen gefördert werden und für jeden tatsächlich die Chance auf Teilnahme besteht. Sie ergänzen die länderspezifischen Regelungen für die Weiterbildung. Aus der Sicht von Ratsuchenden stellt sich die Situation der Bildungsberatung für Erwachsene derzeit wie ein intransparenter Flickenteppich dar. Wenigstens Abstimmung und Kooperation zwischen den verschiedenen Trägern muss dringend erfolgen. Die Landesregierung wird aufgefordert, bei der Bundesregierung die Umsetzung der Vorschläge für ein Erwachsenenbildungsfinanzierungsgesetz sowie für die Einrichtung eines Weiterbildungsfonds z. B. durch eine einprozentige Umlage auf Lohn- und Gehaltssummen, für klare Regeln für Lernzeitansprüche mit Freistellung von Arbeit bzw. spezifische Betreuungspflicht für Erwerbslose einzufordern.

VI.5.3. Öffentliche Strukturen fördern und ausbauen

Gegen die fortschreitende Privatisierung und Kommerzialisierung wollen wir die öffentlich geförderten und verantworteten Weiterbildungsstrukturen ausbauen und stärken. Dies gilt besonders für die bundesweit über 900 Volkshochschulen, die den Kern der öffentlich geförderten Weiterbildung darstellen, bundesweit ortsnah vorhanden sind und die Grundversorgung an Weiterbildung vorhalten. Verhindert werden müssen zunehmende kommerzielle Ausrichtung als Quasi-Bildungsmarkt mit selektiven Konkurrenzstrukturen und überwiegender Projektfinanzierung.

Viele Volkshochschulen sind außerdem Ansprechpartner für unterschiedlichste Zielgruppen, besonders auch für diejenigen, die zu den ‚Verlierer:innen‘ am Bildungsmarkt zählen. Im Aufbau kommunaler und regionaler Bildungsnetzwerke können Volkshochschulen eine wichtige Schnittstelle darstellen und eine flächendeckende Versorgung für alle Erwachsenen sichern. Eine Perspektive der VHS und ihrer Angebote liegt in der Bildungsberatung, der aufsuchenden Bildungsarbeit bis hin zur Sozialraumentwicklung sowie in Aufbau und Anleitung virtueller Lernnetzwerke.

Was tun?

  • Das Angebot zur Grundbildung der Bevölkerung entgeltfrei zur Verfügung stellen. Zur Grundbildung gehört für uns dabei alles, was zum Lehr- und Stoffplan der Sek I der allgemeinbildenden Schulen zählt.
  • Neben der Förderung von Menschen mit Grundbildungsbedarf und dem Nachholen von Schulabschlüssen zählen wir auch Folgendes zur grundlegenden, allgemeinwohlbezogenen Weiterbildung: Integrationskurse für Migrant:innen, Zugänge zum Arbeitsmarkt, Übergänge zwischen Schule und Ausbildung, ein Zugang zur Hochschule für Berufstätige, Umgang mit neuen Medien; diese sind ohne oder nur mit geringem Teilnahmeentgelt anzubieten. Die individuell aufzubringenden Entgelte dürfen nicht zum Teilnahmehindernis werden.
  • Schutz für Teilnehmende und ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten sind umfassend zu sichern.
  • Besonders die politische Bildung muss wieder eine deutliche Aufwertung erfahren, statt immer mehr marginalisiert zu werden. Gerade in einer immer komplizierter werdenden und scheinbar von der Technik beherrschten Welt ist Aufklärung über gesellschaftspolitische Hintergründe und Zusammenhänge notwendig. Aufgrund dieser Bedeutung der politischen Bildung müssen die Angebote in der Regel entgeltfrei sein. Jede VHS muss entsprechend ausgewiesene Angebote der politischen Bildung in ihr Programm aufnehmen und diese deutlich ausweiten.
  • Des Weiteren fordern wie eine Erweiterung des Bildungsurlaubs und den weiteren Ausbau des Arbeitnehmer-Weiterbildungsgesetzes (AwbG-NRW) sowie eine Erhöhung der Chancen auf Teilnahme.
  • Zur Entfaltung einer eigenen, selbstbewussten Persönlichkeit und zur Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben haben auch die anderen Bildungsbereiche, wie z. B. die kulturelle Bildung, Gesundheitsbildung, berufliche Bildung und die Fremdsprachen, ihre Bedeutung für das öffentliche Leben und sind aus- statt abzubauen. Nach dem Prinzip der Einheit der Bildung gehören sie unbedingt dazu.
  • Um Menschen für eine Teilnahme an Weiterbildung zu motivieren und sie über ihre Möglichkeiten zu informieren, sind wohnortnah subjektorientierte, gender- und kultursensible Beratungsstellen in öffentlicher Trägerschaft einzurichten, mit teilnehmer:innenzentrierten Konzepten, guten Rahmenbedingungen und professionellem, wissenschaftlich ausgebildetem Personal mit tariflicher Eingruppierung wie bei den Mitarbeiter/-innen der Volkshochschulen auch.

 VI.5.4. Prekäre Arbeit abschaffen, wertige Beschäftigung und Professionalität sichern

In keinem anderen Bereich des Bildungswesens wird völlig selbstverständlich hingenommen, dass Unterrichtstätigkeit – und einiges mehr – vorrangig von Honorarkräften durchgeführt wird. Unter ihnen sind prekär Beschäftigte, die, gering vergütet, das Ausfall- und Krankheitsrisiko ebenso allein tragen wie die Kosten zu ihrer sozialen Sicherung. Ihr Einkommen erreicht nach Abzug aller Abgaben oft nur die Höhe von Geringverdienern; viele müssen „aufstocken“! Damit ist Altersarmut vorprogrammiert. Sie können nicht die Bedingungen ihrer Arbeit und ihres Einkommens kollektiv aushandeln; Mitbestimmungsfunktionen sind ihnen weitgehend versperrt.

Durch eine verlässliche und deutlich höhere Finanzierung der Erwachsenen- und Weiterbildung können mehr feste Stellen und tarifliche Bezahlung ermöglicht bzw. entsprechend hohe Honorare mit sozialer Absicherung (wieder) eingeführt werden.

Was tun?

  • Die Kommunen und die zuständigen Personalvertretungen sollen den Status der Scheinselbstständigen als arbeitnehmerähnlich Beschäftigte anerkennen.
  • Bei längerfristigen Angeboten und Maßnahmen sind auch den unterrichtend Beschäftigten feste bzw. zeitlich befristete Stellen zu tariflichen Konditionen anzubieten und eine bestimmte Quote für solche festen Stellen vorzusehen.
  • Den Selbstständigen, die das bleiben möchten, ist ein Honorar pro Unterrichtsstunde zu zahlen, das dem Einkommen von Festangestellten mit vergleichbaren Qualifikationen entspricht.
  • Mehr Stellen schaffen für Festangestellte mit tariflicher Entlohnung nach dem TVöD. Das setzt voraus, dass Maßnahmen- und Kurskosten mit realistischen, tariflichen Personalkosten kalkuliert und ausgeschrieben werden und die Förderung entsprechend ausgerichtet wird. Die Mehrkosten sind nicht auf die Teilnehmenden abzuwälzen.
  • Möglichkeiten einer effektiven und wirkungsvollen Interessenvertretung und Mitbestimmung sind (wieder) einzuführen für das Personal und die Teilnehmenden in der Weiterbildung.