Gesundheitspolitik nach der Krise, zur Vorlage Zoom-Landesvorstandssitzung am 18.04.2020

Sascha H. Wagner, gesundheitspolitischer Sprecher

Die allgemeine Wahrnehmung das die Krise vorbei ist, wird sich zunächst in der breiten Bevölkerung darauf beschränken, dass die Covid19-Pandemie abgeflacht sein wird. Das allgemeine Empfinden mit den einhergehenden Lockerungen des Lockdowns im Alltag der Menschen wird dazu beitragen nach den bisherigen Einschränkungen möglichst schnell wieder zum »normalen Alltagsgeschehen« übergehen zu wollen.

Die Auswirkungen der sog. Corona-Krise werden jedoch um ein Vielfaches gravierender ausfallen, als man es sich allgemeinhin derzeit vorstellen kann. Allein die ökonomischen Umwälzungen in der Republik und in der EU sind gewaltig.

Prognosen zufolge wird Deutschlands Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr 2020 um rund sechs Prozent einbrechen.1, 2

In der Gesundheitspolitik kann DIE LINKE glaubwürdig einen Beitrag zu einer fortwährenden Debatte um die Versorgungsstrukturen des Gesundheitssystems leisten. Die Krise zeigt der Bevölkerung nunmehr wie wichtig und notwendig ein gut ausgebautes Gesundheitsnetz ist. Hier hat DIE LINKE seit jeher eine berechtigte Kritik an den Privatisierungsprozessen im Gesundheitssystem formuliert.

Kontaktverbote, Ausgangssperren, HomeOffice, Schließung von Schulen und Geschäften: Die Maßnahmen sollen die Überlastung der Krankenhäuser verhindern. Die Corona-Pandemie trifft auf ein runtergewirtschaftetes Gesundheitssystem. Krankenhäuser wurden geschlossen oder privatisiert, Betten und Personal abgebaut. Erst im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung die Ausgaben für Gesundheit gekürzt – alle anderen Bereiche wurden aufgebaut, auch die Bundeswehr. Seit 1991 wurden 170.000 Krankenhausbetten abgebaut. Diese Betten fehlen jetzt! Wir hatten im vergangenen Jahr, also schon vor dem Ausbruch der Corona-Krise, die Situation, dass in Deutschland 37 %   aller Krankenhäuser zeitweise ihre Intensivstation abgemeldet haben, weil sie - und zwar ausdrücklich - weil sie zwar Intensivbetten hatten, aber kein entsprechend geeignetes Pflegepersonal. Es klemmt vor allem beim Pflegepersonal. Das heißt jeden Tag schon hatten wir schon unter Normalauslastungsbedienung die Situation, dass 1/3 der Betten quasi aus der Versorgung heraus abgemeldet wurden.3

Die bisherigen Pläne der schwarz-gelben Landesregierung zur Reduzierung der Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen fordert daher unseren gesamten Widerstand. Dies können wir außerparlamentarisch, als auch kommunalpolitisch massiv unterstützen.

Fünf Punkte sollten dazu ein Schwerpunkt linker Kampagnenarbeit4 sein:

  • Alle Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen – auch das Reinigungs- und Küchenpersonal – brauchen sofort eine Corona-Zulage von 500 Euro im Monat.
  • Die Grundgehälter in der Pflege müssen dauerhaft um 500 Euro im Monat angehoben werden. Diese Arbeit ist lebenswichtig und systemrelevant, sie muss auch so bezahlt werden.
  • Alle Beschäftigten müssen vom Arbeitgeber mit Schutzkleidung und Schutzmasken ausgestattet werden!
  • Ein gesetzlicher Personalschlüssel (Personalbemessung) wird aufgestellt, der sich am tatsächlichen Bedarf in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen bemisst.
  • In den Gesundheitsämtern wurde in den vergangenen Jahren die Zahl der Ärzt*innen um ein Drittel reduziert. Sie müssen ausreichend finanziert werden, damit sie ihre Aufgaben zum Schutz der Bevölkerung übernehmen können – nicht nur in der Krise, auch im Normalbetrieb.

Quellen:

1 https://www.diw.de/documents/dokumentenarchiv/17/diw_01.c.758733.de/20200408_gd_fruehjahr_gutachten_lang.pdf

2 https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/corona-krise-und-wirtschaft-die-wirtschaftlichen-folgen-der-pandemie-kolumne-a-542e8a73-273f-4e2b-958b-bea91c94d472

3 Prof. Stefan Sell, Gesundheitsökonom an der Hochschule Koblenz, Campus Remagen, in SWR2

4 https://www.die-linke.de/fileadmin/download/themen/Gesundheit_und_Pflege/AdPg-2020.7-Gesundheitssystem.pdf

5 https://www.linksfraktion.de/themen/positionspapiere/detail/effektiver-schutz-durch-solidaritaet/

6 Beschluss des Landesvorstands vom 21.03.2020, Antrag Höger, Wagner, LAG GeSo

7 Yaak Pabst, https://www.marx21.de/corona-app-debatte-gesundheitsschutz-statt-ueberwachungsstaat/

Die Linksfraktion im Bundestag hat ebenfalls am 20. März d.J. ein Positionspapier5 beschlossen, welches im Gesundheitsbereich noch eine weitere Forderung hervorhebt:

  • Keine Profitmacherei der Pharmaindustrie in Corona-Krise: Medikamente und Testverfahren, die mit Unterstützung von Steuergeldern entwickelt werden, müssen zu einem angemessenen Preis verkauft werden. Bei Verstößen ist die Möglichkeit zu schaffen, den Pharmaherstellern die Patente zu entziehen. Außerdem sollten Produktionskapazitäten in Deutschland für einen zukünftigen Impfstoff sichergestellt werden.

Diese Forderung muss primär auf der Bundesebene forciert werden.

Auf der LV-Ebene hat DIE LINKE. NRW bereits weitgehende Beschlüsse gefasst, die sich somit gut in eine weitergeführte Kampagne einbinden lassen:

DIE LINKE. NRW unterstützt die „Volksinitiative Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE!“

 und die „Initiative Regionale Krankenhausstruktur erhalten“

  1. DIE LINKE. NRW unterstützt die Forderung der „Initiative regionale Krankenhausstruktur erhalten“ an die Landesregierung Nordrhein-Westfalens: Die Landesregierung soll, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie-Erfahrungen, umgehend einen Prüfauftrag an unabhängige Sachverständige zu erteilen bezüglich des Gutachtens zur Neugestaltung der Krankenhauslandschaft in NRW. DIE Initiative und auch DIE LINKE. NRW fordern, das vorgelegte Gutachten von Beraterfirmen als Entscheidungsgrundlage für das neue Krankenhausplangesetz zurück zu ziehen.
  2. DIE LINIKE.NRW unterstützt die Volksinitiative NRW: Gesunde Krankenhäuser in NRW – für ALLE!
  • vollfinanziert = ein Sofortprogramm zur Behebung des Investitionsstaus bis 2024 und ab sofort die vollständige Refinanzierung der Investitionskosten durch das Land NRW
  • wohnortnah und bedarfsorientiert = den Erhalt aller Kliniken und eine intensive Analyse und ausreichend Zeit, um einen Krankenhausplan NRW zu erstellen
  • durch gute Arbeitsbedingungen – mehr Personal in Krankenhäusern und eine gesetzliche Personalbemessung!
  • ohne Profite auf Kosten unserer Gesundheit – die Abschaffung der Fallpauschalen und die Wiedereinführung des Selbstkostendeckungsprinzips! 6
     

Zum Hintergrund:

Schon lange fordern die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Deutsche Pflegerat und die Gewerkschaft ver.di eine gesetzliche Personalbemessung für Krankenhäuser. Ausgehend von der Berliner Charité gab es auch in NRW an den Unikliniken Düsseldorf und Essen Streiks für mehr Personal. Das waren die Vorkämpfe für eine angemessene Personalausstattung in den Kliniken. Von Anfang war klar, das Ziel ist eine gesetzliche einheitliche Personalbemessung für alle Krankenhäuser. Eine ausreichende Finanzierung aller Kliniken, die Abschaffung der ungleichen Vergütung sowie Über- Unter- und Fehlversorgung durch die Fallpauschalen und eine gesetzliche Personalbemessung wollen wir zusammen mit ver.di durch eine Volksinitiative erreichen.

Mitten in diese Auseinandersetzungen und Streiks für mehr Personal kam die Bertelsmann-Stiftung im Juli 2019 mit einer Untersuchung hervor, in der die Schließung von 800 der 1400 Krankenhäuser in Deutschland empfohlen wird. Da war die Rede von einer gesamtgesellschaftlichen Transformationsleistung. Gemeint ist die Zerschlagung der flächendeckenden Krankenhausstruktur zugunsten weniger zentraler spezialisierten Superkliniken. Ein vom Gesundheitsministerium NRW bei Beraterfirmen in Auftrag gegebenes Gutachten unterstützt die unbewiesene Annahmen der Bertelsmann-Stiftung mit Schlussfolgerungen wie angeblicher Überversorgung, Unwirtschaftlichkeit, Qualitätsmängeln in vielen Krankenhäusern.

Die festgestellten Mängel haben ihre Ursache vor allem in der Ökonomisierung der medizinischen Versorgung. Mit einem neuen Krankenhausplangesetz sollen nun bis Mitte (neuerdings Ende) des Jahres 2020 über den Fortbestand von Krankenhäusern nach Kriterien entschieden werden, die zu hinterfragen sind. Es geht dabei nicht um einzelne Krankenhäuser, sondern letztendlich um den Rückzug des Staates aus der flächendeckenden medizinischen Versorgungsstruktur. Stattdessen sollen mit 80 Mrd. € zentralisierte Megakliniken gebaut werden.

Überversorgung, Unwirtschaftlichkeit, Qualitätsmängel sind Folge der Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung.

1) Die Gesetzgebung hat die Krankenhausversorgung der Bevölkerung bisher als bedeutsame Aufgabe im System der öffentlichen Daseinsvorsorge staatlich abgesichert: Zum einen mit dem durch Bedarfsermittlung der Landesverwaltung erfolgten Feststellungsbescheid für teilnehmende Krankenhäuser im Landeskrankenhausplan -zum anderen mit der Pflicht, den auf der Basis der Bedarfsermittlung ermittelten Investitionsbedarf entsprechend zu finanzieren. Dem kommt die Landesregierung in NRW seit langem nicht nach. Das Land NRW stellt nur eine Pauschale für alle 346 Krankenhäuser bereit, die in keinem Verhältnis zu den Investitionskosten steht (aktuell 2,5 % der Kosten).

2) Das 2003 eingeführte Vergütungssystem nach Fallpauschalen (DRG) mit seinen vielen Fehlanreizen führt zu Mengenausweitung durch hohe Fallzahlen, Bevorzugung lukrativer Diagnosen und hat zur Folge, dass die Krankenhäuser am erfolgreichsten sind, die möglichst teure und planbare Operationen „Fälle“ in möglichst kurzer Zeit mit möglichst wenig Personal behandeln. Krankenhäuser die den großen Anteil an Grund - und Regelversorgung mit eher defizitären Diagnosen versorgen, geraten durch das DRG-Abrechnungssystem in finanzielle Schwierigkeiten. Der Diffamierung von Krankenhäusern als unwirtschaftlich oder mit der Unterstellung schlechter Qualität treten wir entschieden entgegen.

3) Die Schließung von Krankenhäusern wird auch damit begründet, dass auf die verbleibenden Häuser das knappe Personal „verteilt“ werden könne und so auch die personellen Engpässe gelöst werden könnten. Ein Blick nach Dänemark zeigt, dass genau das nicht eintritt. Die Gewinner-wartung der Inverstoren in Superkliniken führen zu drastischen Personalkosten-Einsparungen und zu Versorgungsengpässen, weil Stationen aus Kostengründen geschlossen werden. 

4) Prognosen und Planspiele bis 2032 sind unzutreffende Phantasien, wie das Beispiel Corona-Virus-Ausbreitung zeigt.  Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, insbesondere die Vorhaltung teurer, aber im Ernstfall unbedingt benötigter personeller und apparativer Kapazitäten, ist nicht lukrativ für Inverstoren.

Qualität ist wenn für jede Einwohnerin und jeden Einwohner der Anspruch auf die Gesundheitsversorgung, die sie oder er zum Schutz der Gesundheit braucht erfüllt wird!

 

Schlussbemerkungen

 

Aktuell wird eine deutliche Kritik an der von der Bunderegierung geplanten Corona-App notwendig sein.

Die Bundesregierung ist sich sicher: Die Corona-Warn-App sei die beste Lösung, um die Ansteckungsquote zu senken, schnelleres Testen möglich zu machen und Infektionsketten zu unterbrechen. Nur so könne der »Lockdown« schrittweise beendet werden. Der Wunsch von vielen nach »Normalität« und der schrittweisen Beendigung des »Lockdowns« ist verständlich. Doch die wissenschaftliche Grundlage, dass eine App dabei helfen kann, ist äußerst dünn. Während die Bundesregierung derzeit viel von »Vertrauen« redet, gibt es nur eine einzige mathematische Modellrechnung, die ihre App-These stützt. Sie wurde von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des »Big Data Institute, Li Ka Shing Centre for Health Information and Discovery« an der Oxford University in England verfasst. Dass sich die Bundesregierung ausgerechnet auf ein Institut bezieht, das grundsätzlich den Einsatz von Big Data befürwortet und dessen Gründer und Geldgeber Li Kashing, mit seinem Vermögen Big Data-Initiativen auf dem ganzen Globus fördert, ist nicht gerade »vertrauenerweckend«.

Zudem ignoriert die Argumentation, der Zweck heilige die Mittel, dass es nachhaltige Alternativen zur Aushöhlung der Grundrechte und flächendeckenden digitalen Überwachung gibt. Wer wissen will, wo die größten Baustellen der Pandemie-Bekämpfung liegen, sollte sich die Forderungen der gewerkschaftlich organisierten Belegschaften oder von einzelnen Pflegerinnen und Pfleger sowie von Ärztinnen und Ärzten aus den Krankenhäusern zu Eigen machen. Um Infektionsketten wirksam zu unterbrechen, gibt es Lösungen, die nicht kompliziert sind: Der massive Ausbau des Gesundheitssystems, sowie die Verbesserung des nachhaltigen Gesundheitsschutzes der Bevölkerung – vor allem der Millionen von Menschen, die trotz partiellem »Lockdown« weiterhin arbeiten müssen sowie der sogenannten Risikogruppen. Dafür braucht es zuvorderst keine App, sondern große Mengen von Gütern und Dienstleistungen im Gesundheitswesen, also Milliarden von FFP-Masken und Schutzkleidung, hunderttausende Tonnen Desinfektionsmittel, Millionen von Test-Kits und Reagenzien, um massenhafte COVID-19 Tests zu ermöglichen, Beatmungsgeräte und eine adäquate personelle und finanzielle Ausstattung des Gesundheitssystems.7

Ob die von der Landesregierung anvisierten Veränderungen in der Krankenhauslandschaft sich unter dem Druck der gesellschaftlichen Debatte um die Zukunft des Gesundheitssystems werden umsetzen lassen, wird auch davon abhängig sein, wie stark DIE LINKE flächendeckend eine laute Kritikerin der Laumann-Pläne sein wird.

Unter dem immensen Druck der ökonomischen Krisenbewältigung, wird es auf der kommunalen Ebene weitreichende Debatten zu Streichungen im Sozialen Bereich (freiwillige Leistungen etc.) geben. Wichtige Strukturfragen bei freien Trägern die mitunter einen wichtigen pflichtigen Beitrag zur Erfüllung kommunaler Aufgaben haben könnten unter einem weitergehenden Spardiktat der kommunalen Unterfinanzierung leiden (z.B. Schließung von AIDS-Hilfe-Beratungsstellen, Schwangerschafts-konfliktberatungsstellen Ausdünnung von Beratungsangeboten, usw.).

DIE LINKE. NRW hat sich bereits für die bevorstehende Kommunalwahl darauf verständigt, dass auch die Frage der flächendeckenden Gesundheits-Versorgung Eingang in die Kampagne findet.

 

Dinslaken, den 15.04.2020