Grußwort Keno Böhme, Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Landesbezirk NRW

Projektsekretär, "Liefern am Limit"

Rede Keno Böhme:

Liebe Genossinnen und Genossen,
vielen Dank für die Einladung und die Gelegenheit, hier und heute ein paar Worte zum Gruß zu sagen.
„Egal“, „übersehen“, „vergessen“ oder „unsichtbar“ – Vier Beispiele dafür, wie man sich als Mensch fühlen kann, wenn man an die Politik denkt. Denn dieser Mensch ist sachgrundlos befristet und verdient nicht viel mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Er muss sein Privateigentum nutzen, um der Ausbeutung nachgehen zu können, die Christian Lindner als „Sprungbrett in den Arbeitsmarkt“ bezeichnet. Nur vergisst unser liberaler Posterboy dabei, dass dieses Sprungbrett, diese vermeintliche Chance, für viele Menschen unerreichbar ist, oder letztlich der Sprung zu tief, das Risiko zu groß. Sämtliche Versuche an diesen Umständen etwas zu ändern, von der Basis aus zu agieren, scheitern schnell an der sachgrundlosen Befristung – dem metaphorischen „Nicht vom Beckenrand springen!“
Ich spreche von den Ridern, den Fahrradkurieren, die für Lieferando, ehemals foodora und ehemals deliveroo arbeiten. Sie stehen stellvertretend für die Plattformökonomie, die Digitalisierung, die Arbeit 4.0, Arbeit auf Abruf. Ich war anderthalb Jahre einer von ihnen – und bin es im Herzen bis heute, als Projektsekretär der NGG, zuständig für die Lieferdienste.

Leider muss ich den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Lieferando, Semih Yalcin und meinen Kollegen Orry Mittenmayer, den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden von deliveroo Köln, entschuldigen. Semih ist aus privaten Gründen verhindert und Orry plagt eine Mandelentzündung. Beide lassen mich aber liebe Grüße ausrichten.
Und damit habe ich aber auch schon das Stichwort genannt: Betriebsräte. Ende 2016 haben unsere Kolleginnen und Kollegen von foodora Köln das Unmögliche gewagt: Die allesamt sachgrundlos befristeten und von NGG zunächst noch als „unorganisierbar“ bezeichneten Rider wagten den Sprung und beendeten ihre Betriebsratsgründung im Sommer 2017 mit Erfolg.
Und wie man so schön sagt: „Konkurrenz belebt das Geschäft“. Und deshalb war es mir angesichts dieses Erfolgs ein Leichtes, meine Kolleginnen und Kollegen von deliveroo ebenfalls zur Wahl eines Betriebsrats zu ermutigen. Heute, vor genau 2 Jahren, fand in Köln die erste Betriebsversammlung von deliveroo Köln statt. Man wählte Orry, mich und eine weitere Kollegin in den Wahlvorstand und wir nahmen unsere Arbeit auf. Wir erfuhren massiven Widerstand seitens der Geschäftsführung. Diese kündigte Mitte Dezember 2017 an, keine Verträge mehr zu verlängern und uns durch Solo-Selbstständige ersetzen zu wollen. Wir standen mit dem Rücken zur Wand und wussten uns nicht mehr anders zu helfen, als eine Social Media Kampagne auf Facebook, inzwischen auch Twitter und Instagram, zu starten. Sie trägt bis heute den Namen „Liefern am Limit“.

Von dem Job-Verlust mit Ansage ließen wir uns nicht entmutigen, im Gegenteil: Mit einer feurigen „Jetzt erst Recht!“-Mentalität durchstanden wir Arbeitsphasen von bis zu 70 Wochenstunden – pro Nase – und das wohl auch deshalb, weil uns nur 4 Wochen nach unserer Gründung eine Solidaritätsbekundung aus dem Bundestag erreichte. Und ich muss gestehen, als einfache 9€ Rider, sachgrundlos befristet, die Spielball des Kapitals waren, kann ich diese überwältigenden Emotionen bis heute nicht in Worte fassen. Denn dieser Brief machte etwas mit uns. Er bestätigte uns in unserer Arbeit und attestierte uns vor allem auch: Wir sehen euch! Zugegebenermaßen hatten wir beim Erstellen unseres ersten Facebook-Beitrags die Sorge, dass niemand den sehen würde. Wer waren wir denn schon? An dieser Stelle gilt unser besonderer Dank Matthias W. Birkwald, der uns von Anfang an begleitete und auch in unserem Namen als erster kleine Anfragen im Bundestag stellte.
Die Frage „Wer wir sind“ haben wir uns inzwischen beantworten können. Wir sind Kämpferinnen und Kämpfer, zwischen 18 und knapp 60 Jahren alt, wir haben Akademikerinnen und einfache Arbeiter in unseren Reihen. Wir sprechen ganze Feierabend-Bierchen-Abende auf Englisch, weil wir auch Auslandsstudierende, Migrantinnen und Geflüchtete in unseren Reihen wissen. Wir sind Rider.

Wir kämpfen für einen Lohn von dem wir leben können, eine Erweiterung des Begriffs „Betriebsstätte“ um digitale Apps, die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, eine Stärkung der innerbetrieblichen Mitbestimmung und für Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die es endlich mal fertig bringen, Unternehmerinnen und Unternehmer für Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz dahin zu verfrachten, wo sie hingehören: Hinter Gittern!
Während unserem nun bald 2-Jährigen Bestehen haben wir vieles erlebt. Nachdem unsere Fraktion mit ihrer Arbeit die SPD erfolgreich daran erinnert hat, weswegen sie sich gegründet hat, genossen wir auch die Aufmerksamkeit unserer politischen großen Schwester.

Mit dem Besuch von Hubertus Heil zu unserem 1. Deutschlandweiten Rider-Treffen konnten wir immer mehr „unsichtbare“ und „vergessene“ Rider von der Sinnhaftigkeit unserer Kampagne überzeugen. Sie fassten allesamt neuen Mut und gründeten allein in diesem Jahr vier weitere Betriebsratsgremien in Nürnberg, Frankfurt, Stuttgart und Münster. Auch wenn wir – Stand heute – deliveroo erfolgreich aus Deutschland vertrieben haben und wir uns nach der Übernahme von foodora durch Lieferando nur noch auf einen Ausbeuterverein konzentrieren müssen, bleibt vieles zu tun. Denn wie zu Anfang erwähnt, verdienen die Rider nicht viel mehr als den Mindestlohn, was zwangsläufig zu Altersarmut führt. Und das wird wohl die größte Herausforderung sein – soviel kann ich zur Rentenpolitik sagen.

Doch wir als arbeitende Bevölkerung stellen die absolute Mehrheit in diesem Land! Es muss also möglich sein! Während die Blaubraunen gestern einen Flügel-Mann zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt haben und unsere Jüngsten seit Monaten auf die Straße gehen und für eine Zukunft kämpfen, muss es möglich sein, dass wir diese nicht in Armut erleben!
Wie Fridays for future bereits sehr richtig erkannt hat: Uns läuft die Zeit davon! In der heutigen Zeit gilt es über politische Spitzfindigkeiten hinwegzusehen, sich zusammenzuschließen und gemeinsam für eine rote Zukunft zu kämpfen! Der Ausgang der SPD-Selbstfindungsphase lässt hoffen! Lasst uns bereit sein, liebe Genossinnen und Genossen, bereit für eine SPD, die zusammen mit uns Gewerkschaften und uns Linken die Frage angehen will, wieso zum Geier die reichsten 10% in Deutschland 50% des Vermögens für sich beanspruchen dürfen!
Die Rider haben ein Recht auf Betriebsräte, auf gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen, genauso wie alle anderen Beschäftigten auch. Dafür kämpfen wir als Gewerkschaft NGG, dafür kämpft DIE LINKE. NRW und darum danke ich Euch herzlich für Eure Unterstützung und wünsche Euch weiterhin einen erfolgreichen Parteitag!